Lesung in der Stadtbibliothek Reutlingen

Gut, es ist jetzt schon eine Weile her, aber hier nun endlich ein paar Eindrücke von der Veranstaltung „Reutlinger Buchpremieren“ in der Stadtbibliothek Reutlingen anfang des Jahres 2022. Dabei habe ich nich nur aus dem zweiten Teil von Waldheim gelesen, sondern wurde auch musikalisch Unterstützt von Janosch Wolf. Heraus kam ein spannendes Live-Hörspiel!

Das Babirusarennen

Eine Kurzgeschichte aus Waldheim in zwei Teilen – (unveröffentlicht und unlektoriert)

Zärtlich streichelte Kimu Grita über den borstigen Kopf, was sie mit einem wohligen Grunzen erwiderte. Die Babirusadame gehörte ihm nicht, sondern der alten Bäckerin Oschta. Doch Oschta war nicht mehr ganz helle im Kopf und so erzählte er ihr die Story vom Pferd, oder in diesem Fall, die Story vom Babirusawildschwein.
Wie zuvor viele Male, fragte Kimu die alte Bathanerin, ob er Grita etwas ausreiten dürfe, was sie mit einem schielenden Blick und einem dümmlichen Grinsen, nickend bejahte.
Zum Glück wusste Oschta in ihrer Verwirrtheit nicht, dass heute das Babirusarennen in der Geruhschlucht stattfand. Bei dem Rennen nahmen die drei bathanischen Stämme aus Waldheim teil – der Moklim-Stamm aus dem Parumoor, der Linlin-Stamm aus dem Keakemoor und der Itsib-Stamm aus dem weit entfernten Bambumoor. Die besten Babirusas traten gegeneinander an, oder ehrlich gesagt, die Wildschweine, die Lust dazu hatten, einigermaßen zielstrebig durch die Schlucht zu rennen und nicht am nächstbesten Strauch hängen blieben, um dessen Beeren zu verputzen. Das erste Tier, das durch das Ziel am Ende der Schlucht schritt, bekam ein Festmahl mit frischem Obst aufgetischt und der oder die Besitzerin des Reittieres, erhielt einen neuen, handgefertigten Reitsattel für das Babirusaschwein. Übrigens, dass keines der Tiere am Ziel ankam, war die häufigste Variante.
Kimu führte Grita behutsam aus dem bathanischen Dorf, hinaus in Richtung Geruhschlucht. Immer wieder wurde er von gutgelaunten Dorfbewohnern überholt, die es sich nicht nehmen ließen, eine abfällige Bemerkung über ihn und Grita zu machen. Kimu wusste von seiner Tollpatschigkeit und seinem Hang zu schrillen Farben, doch warum kümmerte es die anderen Bathaner, dass er seine Lederweste in blau und orange gefärbt hatte und Grita rosa Schleifchen um die Ohren trug? Ein bisschen mehr Farbe würde seine Stammesgenossen nicht schaden, überlegte Kimu naserümpfend.
Nicht immer nur diese lederbraunen Westen und lederbraunen Mokassins, lederbraune Taschen, beigefarbene Hosen, schwarze Peitschen, maronenfarbene Armbänder, holziger Ohrenschmuck. Das Leben konnte so bunt sein, warum erkannten die anderen das nicht?
»Autsch!«, jaulte Kimu auf, als er über eine dicke Wurzel stolperte und hinfiel. Grita grunzte laut. Fand sie das etwas witzig? Skeptisch sah er die Wildsau an, worauf hin sie ausdruckslos mit dem voluminösen Hintern wackelte.
»Na, komm, Grita.«, sagte Kimu, nachdem er sich aufgerappelt hatte. »Wir haben ein Wettrennen zu gewinnen!«
Voller Elan schwang er sich auf den Rücken der Babirusadame und wäre auf der anderen Seite wieder heruntergestürzt, wenn er sich nicht im letzten Moment an Gritas Mähne festgehalten hätte, was sie mit einem säuerlichen Grunzen quittierte. Nach einem gemurmeltem Entschuldigung und ein Blick über die Schulter, ob ihm jemand dabei beobachtet hatte, setzte Kimu sich in Bewegung.
Das Gelände wurde weiträumiger und der Boden härter. Sie hatten das Moor hinter sich gelassen und konnten das letzte Stück zur Schlucht reiten. An der Geruhschlucht angekommen, stellte Kimu fest, dass es doch keine gute Idee gewesen war, geradewegs darauf zuzureiten. Nun blickte er skeptisch in die Tiefe und konnte die Festbesucher schemenhaften in dem schmalen Tal erkennen, die, von hier oben, wie umherwuselnde Ameisen aussahen. Er selbst war ein grauenhafter Kletterer und mit Grita, wäre der Abstieg ein Ding der Unmöglichkeit. Also wandte er sich seufzend ab und ritt Richtung Anfang der Schlucht, um von da aus sein Glück zu versuchen.
Zwei Stunden später, kam Kimu schnaufend unten im Tal an. Der Abstieg, am Ende der Geruhschlucht, hatte es in sich, sodass er diesen zu Fuß beschreiten musste. Die Babirusadame meisterte den schmalen Pfad jedoch mit einer Souveränität, die man so einem Koloss, mit wackelndem Hintern, gar nicht zugetraut hätte.
Am Rand der Schlucht positionierten sich bereits die Schaulustigen zwischen den Marktständen, an denen allerlei Leckereien von gegrillter Doringesschlange, bis hin zum beliebten Cleamonsaft, der einen gehörig die Sinne vernebelte, angeboten wurden.
»Jetzt aber los!«, wisperte Kimu Grita ins Ohr und kraulte sie aufmunternd. So schnell er konnte, führte Kimu sie an den Start, wo bereits weitere acht Babirusas gelangweilt dastanden. Als die Zuschauer Grita mit ihrem rosa Schleifchen sahen, schmunzelten einige oder machte gar höhnische Bemerkungen.
»Hey Kimu, hast du deinem Babirusa heute auch schön die Borsten gebürstet?«, grölte ein junger Bathaner und lachte überheblich.
Kimu drehte sich zu seinem Stammesbruder um und fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
»Nein, mein lieber Reno. Aber dafür deinem Vater und ihm hat’s sehr gefallen.«
Wenn ihm seine verstorbene Mutter eines beigebracht hatte, dann immer Kontra zu geben.
Der andere Bathaner fletschte die Zähne und kam einen Schritt auf ihn zu. Kimu legte die rechte Hand an Gritas Flanke und sah Reno gelassen an, darauf hoffend, dass sein Gegenüber sein Zittern nicht bemerkte.
Reno wusste, dass er hier keine Schlägerei anfangen durfte. Auch wenn jeder Bathaner sich in Selbstverteidigung und dem Umgang mit der Peitsche üben musste, war es oberster Kodex, Gewalt nicht leichtfertig einzusetzen, und schon gar nicht unter seinesgleichen.
»Wir sprechen uns noch!«, drohte Reno stattdessen und stampfte davon.
Kimu schüttelte ungläubig den Kopf über so viel Dummheit. Das würde ein Nachspiel haben.
Erschrocken horchte er auf, als die Trommel ertönte, die den baldigen Start des Rennens einleitete. Kimu drückte sich und Grita durch die letzten Meter, was ihm weitere abfällige Bemerkungen einheimste und positionierte die Wildschweindame direkt hinter der Startlinie.
»Also Grita … «, flüsterte er ihr ins Ohr. »Niemand glaubt daran, dass du gewinnen kannst, aber ich weiß, du schaffst es. Und dann bekommst du leckeres Fressen und ich endlich einen neuen Sattel. Wer das was für uns?«
Die Wildsau sah ihn ausdruckslos an und wedelte mit dem Schwanz, ehe sie sich über die paar Grashälmchen am Boden hermachte.
Kimu verdrehte seufzend die Augen. Manchmal fragte er sich, was in so einem Babirusakopf vor sich ging.

Fortsetzung folgt …

Asgaria und die heilige Stätte

Eine Kurzgeschichte aus Waldheim in zwei Teilen – (unveröffentlicht und unlektoriert)

»Genossin Asgaria«, rief Friederich ihr nach Luft japsend entgegen.
Asgaria blickte von ihrem Bogen auf, den sie soeben neu bespannt hatte.
»Genosse Friederich, was‘n passiert?«, fragte sie überrascht und musterte die junge Ratte, die schnaufend ihre kleinen Pfoten auf die Oberschenkel stemmte.
»Es geht um unsere heilige Stätte, der Baum … der heilige Baum, … also der heilige Baumstumpf, … da sind … es sind … «
Asgaria stand auf und legte ihre Pfote auf die Schulter ihres Genossen.
»So beruhige dich doch, hol ers‘ mal Luft und erzähle mir dann, was mit dem heiligen Baumstumpf los is‘.«
Genosse Friederich nickte ihr dankend zu und atmete mehrmals schnell ein und aus.
»Da sind Zwerge in unserer heiligen Stätte«, begann er zu erzählen, als er sich wieder beruhigt hatte.
»Sie machen etwas mit dem Baum, doch ich konnte nicht erkennen was. Ich hatte Angst. Was könnte ich alleine schon gegen neun dieser Zwerge ausrichten. Sie sind doch so viel größer als wir.«
Asgaria streichelte beruhigend über Friederichs Oberarm.
»Keine Sorge, Genosse. Die Zwerge mögen zwar größer sein, doch wir sind viele. Und wenn sie sich an dem heiligen Baumstumpf zu schaffen machen, bekommen sie‘s mit den vereinten Kräften der Poks zu tun.«
Asgaria ballte ihre kleine Pfote zu einer Faust und sah ihren Genossen entschlossen an. Äußerlich ließ sie es sich zwar nicht anmerken, doch innerlich sorgte sie sich. Erst vor kurzem gabelten sie eine ungewöhnliche Truppe im Sansewald auf. Ein Jarduhzwerg, zwei Bathaner vom Moklimstamm und ein Mensch von der Erde. Auch sie wollten damals zu der heiligen Stätte. Doch die heilige Stätte mit dem darauf verwurzelten Baumstumpf, war das Heiligste, was die Poks besaßen. Sonst würde sie ja nicht heilige Stätte heißen. Was dachten die anderen Waldheimbewohner denn? Dass man dahin pilgern konnte, ein- und ausmarschierend, wie in einer Dorfschenke? Und wenn selbst ein Mensch sich hierher verirrte und aus unverständlichen Gründen, die Stätte betreten wollte, was würde als Nächstes geschehen? Unglücklicherweise entkam die Truppe damals und dann bekamen sie es auch noch mit einem mächtigen Waldgeist zu tun. Was ging hier verdammt nochmal vor? Und jetzt die Zwerge hier? Dies war absolut inakzeptabel! Sie hatte keine Ahnung, was sich in Waldheim zusammenbraute, doch sie und ihre Genossen würden die heilige Stätte, bis aufs Blut verteidigen. Und nicht nur die heilige Stätte, sondern den gesamten Sansewald.
»Trommel alle Kriegerinnen und Krieger im Dorf zusammen«, befahl sie ihrem Genossen voller Inbrunst. »Wir werden den Zwergen ‘ne ordentliche Abreibung verpassen.«
Friederich schaute sie mit großen Augen an und leckte sich über seine Stupsnase.
»Aber Genossin Asgaria … «, stammelte er verzweifelt, » …das ist ja das Problem.«
Die Pokdame legte ihre haarige Stirn in Falten: »Was ist das Problem?«
Ihr Genosse verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere und sah sie dabei entschuldigend an.
»Alle Poks sind weg.«
»Wie weg?«
»Ja, weg.«
»Und wo sind alle?«, fragte sie empört.
Friederich druckste etwas herum, ehe er es kleinlaut aussprach.
»Alle sind in der Geruhschlucht und feiern die doppelte Mondfinsternis.«
Waldheim besaß zwei Monde. Und ab und an kam es eben zu einer doppelten Mondfinsternis, was die Poks mit einem großen Lagerfeuer, rhythmischen Trommelklängen und tanzend in der Geruhschlucht feierten.
Asgaria klatschte sich mit der flachen Pfote an die Stirn. Natürlich, wie konnte sie das nur vergessen.
»Also gut, Genosse Friederich«, sagte sie entschieden. »Dann eben nur wir zwei.«
Friederich riss erschrocken die Augen auf.
»Nur wir zwei?!«
Asgaria nickte knapp. »Nur wir zwei.«
Ihr Genosse schluckte schwer und schien nicht überzeugt zu sein. »Und wie wollen wir das anstellen?«
Die Pokdame lachte zuversichtlich. »Überlass das mal deiner Genossin Asgaria. Ich werd‘ das Ding schon schaukeln. Mach du nur das, was ich sage. Bereit?«
Genosse Friederich nickte skeptisch. Das reichte Asgaria als Antwort, schnappte sich Pfeil und Bogen und stürmte los.

Fortsetzung folgt…